Mit Säure-Werkzeug schneller zur Feinchemikalie
Chemiker Benjamin List erhält den dritten ERC Advanced Grant infolge
Der Europäische Forschungsrat wird die Arbeit von Kohlenforscher Benjamin List mit einem weiteren ERC Advanced Grant fördern. Das hat die Institution am 26. April offiziell bekannt gegeben.
Steigende Heizkosten, explodierende Spritpreise: Der Umgang mit der wertvollen und vor allem endlichen Ressource Erdöl ist derzeit in aller Munde. Doch fossile Materialien wie Erdöl oder Kohle werden längst nicht nur zum Verbrennen benötigt, sondern dienen als Grundlage für viele wichtige Produkte beispielsweise für die Arzneimittel- oder Kunststoffindustrie. Der Chemiker Benjamin List, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr und Chemienobelpreisträger 2021, will mit seinem Team daran arbeiten, die industrielle Nutzung von Erdöl zu verbessern. Das Projekt wird vom Europäischen Forschungsrat großzügig unterstützt.
In deutlich weniger Schritten als bislang üblich sollen aus dem „schwarzen Gold“ die sogenannten Feinchemikalien hergestellt werden – Grundlage für Medizin und andere wichtige Güter. Der Vorteil liegt klar auf der Hand: Indem man Prozessketten verkürzt und vereinfacht, wird nicht nur Zeit gespart, sondern werden vor allem wertvolle Ressourcen geschont. Konkret: Aus den in Erdöl vorkommenden Stoffen, den Petrolchemikalien, werden gewöhnlich zunächst Grundchemikalien hergestellt, bevor die oben genannten Feinchemikalien entstehen können. List möchte einen Schritt überspringen – und zwar mithilfe ganz besonderer Werkzeuge: neuartiger Katalysatoren.
Bei der von Ben List geplanten „Early-Stage Organocatalysis“ (ESO) werden – wie bisher auch – mithilfe von Katalyse die gewünschten Produkte aus dem Erdöl hergestellt. Ein Katalysator ist ein molekulares Werkzeug, das eine Reaktion in Gang setzt oder beschleunigt, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Der Vorteil eines Katalysators besteht darin, dass ein chemischer Prozess mit viel weniger Energieaufwand abläuft. Katalysatoren gibt es viele. Sie kommen als Enzyme im menschlichen Körper vor, es gibt sie als metallhaltige Varianten beispielsweise im Auto. Die Frage, die Chemiker sich stellen, ist: Welcher Katalysator ist der ideale Kandidat für die jeweilige chemische Reaktion?
Während viele klassisch eingesetzte Katalysatoren Metalle enthalten, arbeitet man in der von Ben List vor rund 20 Jahren entwickelten Organokatalyse mit rein organischen Stoffen. Diese Katalysatoren sind oft einfacher herzustellen und auch nachhaltiger als die metallhaltigen Varianten. In seinem neuen „ESO“-Projekt setzt der Nobelpreisträger vor allem auf die katalytische Kraft von organischen Säuren.
Diese Säuren sind in den Augen des 54-jährigen Nobelpreisträgers deswegen universell einsetzbare Werkzeuge, weil die Voraussetzungen der Ausgangsmaterialien einer Reaktion – im Prinzip – recht simpel sind. So ist bei den Zutaten für ein bestimmtes Produkt lediglich eine gewisse Elektronendichte vonnöten, damit die Säure katalytisch wirkt, also als Werkzeug funktioniert. „Wir sind davon überzeugt, dass ein Großteil aller katalytischen Prozesse auf der Welt mithilfe von Säuren realisiert werden kann“, sagt List. Nun setzen er und sein Team alles daran, die idealen Säurekatalysatoren zu kreieren.
Für ihr Vorhaben werden die Mülheimer Wissenschaftler nun mit einem Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) für die kommenden Jahre mit mehreren Millionen Euro unterstützt. „ESO“ ist bereits der dritte Advanced Grant infolge für List. Die Förderung durch den European Research Council ist sehr begehrt. Insgesamt 1735 Gruppen haben sich um eine Förderung bemüht, 253 Projekte aus insgesamt 21 Ländern werden mit insgesamt 624 Millionen Euro gefördert.